DREI ÜBERLEGUNGEN ZUR KUNST VON MANFRED SEIBT

von KurtLüthi, Wien (em. Univ. Prof. Dr. theol. Der Evangelisch- Theologischen Fakultät (HB) für Systematische Theologie an der Universität Wien)

Erstens:

Die Kunst von Manfred Seibt gehört in das „Projekt Moderne”. Damit ist auch bei Manfred Seibt die Wende zur „Abstrakten Kunst” vollzogen. Mit dieser Wende verzichtet Kunst auf „inhaltliches Abbilden des Sichtbaren”, – sie verzichtet auf ein „Abbilden nach Natur”. Das Interesse dieser Kunst gilt dem „Formalen” und damit den Prozessen der Gestaltung, – den Strukturen, – allenfalls den reinen Farben (Monochromie). Mit Kandinsky ist nun für den Betrachter ein „Neues Sehen” zu fordern. Der Künstler vereinfacht, reduziert, verdichtet, er nimmt Verschiebungen und Verwischungen wahr. Mit Malevitsch und Rodschenko gibt es nun die Bildtitel „Weiß in Weiß” und „Schwarz in Schwarz”. Die fundamentale Theoriebildung liegt nach Kandinsky in der Polarität des „Grossen Abstrakten” und des „Grossen Realen”. Im Bereich des „Grossen Realen” wird auch Alltägliches „zur Kunst erklärt” (Alltägliches als „object trouve”) – Ein zweiter Aspekt des „Projekt Moderne” ist mit der „Aufwer-tung des Betrachters” gegeben. Dieser verlässt seine passive Seh-Rolle. Er tritt dem Bild „dialogisch-meditierend” gegenüber und er „vollendet” den durch den Künstler ausgelösten Prozess. – Ein dritter Aspekt: Der Künstler übernimmt eine neue Rolle, die Rolle des Aktionisten, – oft als Bürgerschreck (Beispiel: Joseph Beuys). – Schließlich noch ein Aspekt mit dem Begriff der „Dokumenta 1972″; jetzt geht es um die „Individuelle Mythologie”. Damit signalisiert Kunst ein neues Interesse an Mythen, Symbolen, Ritualen (s. auch dritte Über-legung).

Zweitens:

Die Kunst von Manfred Seibt ist als Beitrag zu einer aktuellen Symbolkultur zu werten. Gesichtspunkte zum „Thema Symbol”:

Sprachlich bezieht sich der Ausdruck auf das Verb „symballein” – ,,zusammenfügen”. Das Symbol führt zwei Ebenen zusammen. Die eine Ebene bezieht sich auf die profane, materielle, sinnliche Wirklichkeit. Die andere Ebene signalisiert das Geistige und Übersinnliche, – hier kommt auch zur Sprache, was „unbedingt angeht” (Formulierung nach Paul Tillich). Das Symbol ist dann auch „Sprache des Unbewussten”. Damit wird deutlich, dass der Mensch eine leib-seelische Ganzheit ist. Die Welt der Symbole ist vor allem in Mythen und Märchen, aber auch in Religionen und Kunst zu finden. Dabei ergeben sich zwei Dimensionen: Symbole beziehen sich auf die individuelle Selbstfindung und unterstützen diese. Es gibt aber auch die Symbole der Gemeinschaft, des Kollektiven und des Archetypischen. Symbole, die durch künstlerische Prozesse entstehen sind als „individuelle Mythologien” zu deuten, Der Künstler schafft damit Beiträge zwischen Leben und Tod, zwischen Glück und Leid. „Individuelle Mythologien” zeigen aber auch die nicht abbrechende menschliche Sinnsuche. Hier ist auch auf einen ästhetischen Beitrag hinzuweisen, den man als „archetypische Geometrie” qualifizieren kann: Kreis, Quadrat, Dreieck, Viereck, Kreuz, Gitter, Spirale.

Drittens:

Ich erlebe die Kunst von Manfred Seibt als eine „Kunst der Öffnungen”:

  • Seine Bilder sind oft rahmenlos und vermitteln dem Betrachter weite Räume, Nähe und Ferne, ver-schwindende Horizonte,
  • seine Bilder bestehen farblich aus Variationen von weiss-grau, weiss-blau, weiss-rot (usw.),
  • seine Bilder gestalten die Kombination von Licht und Finsternis. Licht ist eriebbar als Strahlung und Feuer,
  • seine Bilder sind oft „Spurensuche”,
  • statt verbaler Titel gibt es (manchmal) Takte aus Partituren,
  • seine Bilder können als Mandala erlebt werden und man kann sie einer „archetypischen Geometrie” zuordnen.

Als Kernsatz einer Deutung ist Umberto Eco zu zitieren:„Im Anfang war das Zeichen”. Das Zeichen ist Sprache der Offenheit und der exakt zugreifenden Verbalisierung überlegen.

Frage: hat diese „Kunst der Öffnungen” eine Botschaft? eine Botschaft zur Orientierung menschlicher Existenz?

Antwort: eine „Kunst der Öffnungen” wendet sich gegen Einengungen, die oft das menschliche Leben bestim-men, – sie wendet sich gegen Abkapselungen, – sie wendet sich gegen die Unterscheidung von Freund und Feind.

Schlussfrage: gibt es eine Beziehung zur Welt der Religionen? Manfred Seibt gibt mystischen Tendenzen im Sinne der jüdischen Kabbala einen hohen Stellenwert (vgl. das Buch von Gabriele Mandel: „Gezeichnete Schöp-fung. Eine Einführung in das hebräische Alphabet und die Mystik der Buchstaben” (deutsch, Wiesbaden 2003). Nach kabbalistischer Tradition ist das Alphabet nicht nur Abfolge von Schriftzeichen, um Worte und Sätze zu bilden, sondern das Alphabet bildet die Grundsteine und Bausteine der Schöpfung, – Buchstaben sind Grund-begriffe einer religiösen Erkenntnis, – in Buchstaben tritt transzendente Energie in Erscheinung. Die Buchstaben haben symbolische Bedeutung. Ich verweise auf die Bedeutung des Buchstabens „Alef \ „Alef ist in der Kabbala eine der drei Urmütter der Schöpfung; die Urmütter sind „Luft, Wasser und Feuer”. „Alef’ ist aber auch Symbol des einen Gottes. Weiter bezieht sich „Alef’ auf den Urmenschen „Adam” und auf „Abraham”.

Der Brückenschlag zwischen Buchstaben und Kunst entsteht durch die kalligraphische Adaption von Buchsta-ben, – Buchstaben in der Kunst von Manfred Seibt fliegen oder wachsen aus einem sublimen Geflecht, – Buch-staben sind als Wege zur Transzendenz deutbar.

 

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