Persönliche Gedanken nach Begegnungen mit seinen Bildern, eine schrittweise Annäherung von Leo Mazakarini
Eine persönliche Standpunktklärung: Kunstwerke mögen literarisch brillant zu beschreiben sein (wir haben dafür Zeugnisse), adäquat genial deutbar sind sie nicht. Dennoch darf/soll/muss das Wort sinnlich zum Bild zu verführen suchen. Das Wort hat mittelbar Unmittelbarkeiten zu schaffen.
Wir wissen: Sein Handwerk zu beherrschen hat einem Künstler als selbstverständlich zu gelten. Ingenium ist Schaffens-Voraussetzung. Ein unverwechselbares persönliches Schicksal zu haben ist unverzichtbar, weil Immanenz bildend.
Erfolg dagegen mag zwar angenehm sein, urteilt aber nicht über Kunst, verurteilt sie mitunter. Zu oft. An dieser Stelle des Vor-Worts sind wir direkt beim zeitgenössischen Künstler Manfred Seibt angelangt, dem ich mich nun schrittweise annähern will, um sein Werk zu verstehen und aufarbeiten zu lernen.
Begegnungen und Gedanken:
An allem Anfang stand für Manfred Seibt seine künstlerische Bedingungslosigkeit. Sie über Jahrzehnte durchzuhalten, brauchte viel Kraft. Er wäre an dieser Herausforderung fast zerbrochen.
Doch dieser Künstler hat sich ihr dennoch stets gestellt. Konsequent. Und mit allen Konsequenzen. Das kostete ihm Kraft, und gab Kraft. Läuterte.
Er ist malend unterwegs auf der schöpferischen Suche nach Ursprüngen, nach Ur-Quellen, nach „origines”, und meidet daher jede kokett-mondäne Originalität. Seine emotionalen Zeitgenossen sind die Ahnen des Parsival und der Egeria ebenso wie die der Könige Salomon und Artus. Mag schon sein, dass er auf der Suche nach der verlorenen Wahrheit ist.
In seine – in sich komplexe – Welt kann nicht jedermann ungefordert eindringen, der Nachvollzug seines Weges dorthin verlangt wachen Geist und ein offenes Herz. Denn dieser Raum ist ein von ihm inspirierter und inspirativ unmittelbar geschaffener Kosmos, der es ihm ermöglicht, spirituell gleichsam die Gene von Archetypen zu entschlüsseln, Mythen nachempfindbar zu machen und bildhaft kompromisslos ein Abbild seiner eigenen Seele abzuliefern. Diesen Weg im Rezipienten fühlend nachzuvollziehen, ist Aufgabe der Begegnung mit diesem Werk.
Seibts Kunst kommt ohne sichtliche Umwege aus seinem eigenen Unterbewussten, entsteht und besteht aus Chiffren, Symbolen, Reduzierungen, Abstraktionen. Erreicht werden diese alle durch radikalen vergeistigten Umgang mit und Verdichtungen von Selbstfindungs-Elementen mit künstlerischen Mitteln und auf künstlerischen Wegen.
Als Kunst-Schaffender missverstanden zu werden, ist zwar in der Realität fast aller Künstler der Regelfall, für Seibt wäre solch eine Haltung larmoyant und daher unwürdig. In seiner Welt ist sie kein Bewertungskriterium. Er kann mit Leid umgehen, nicht aber mit sich passiv gebärdendem Selbst-Mitleid.
Seibt, der in Wien lebende geborene Tiroler, hatte nie ein Verhältnis zum und schon gar nicht mit dem Zeitgeist, nicht weil er kein Opportunist ist, sondern weil sich ihm der Zeitgeist kaum nähern konnte, ihm wesensfremd blieb. „Seine Bilder sind aktuelle Beiträge zu einer Symbolkultur”, schrieb Kurt Lüthi. Und: „Das Symbol ist auch eine Sprache des Unbewussten.” Dieser Künstler schuf, meint Lüthi, „Beiträge zum Labyrinth der Mythen und Religionen, es geht damit um Erfahrungen zwischen Leben und Tod, Ordnung und Chaos, Glück und Leid.” – Zu ergänzen ist hier, dass seinen Bildern eine heute selten sonst so erspürte Kraft innewohnt, die spirituell-angelegte Menschen sofort packt, nicht zur Ruhe kommen lässt, in ihnen (sie tief verändernd) wirksam wird.
Das Charisma des künstlerischen Einzelgängers hängt Manfred Seibt an, mit all der dazu notwendigen Power, aller Ironie, allem Zorn, allem Zweifel. Und aller Verzweiflung. Auch dies mögen Antriebskräfte artefizieller Schaffensmotorik sein.
Seine neueren Arbeiten subsummiert er unter dem Begriff „Wortgitter”: Hebräische Schriftzeichen wachsen da in einem sehr sublimen, oft scheinbar monochromen Geflecht zu einem innovativen Ganzen, das den gängigen Dualismus entlarvt und ein neues, unverdorbenes, monolithisches, ein ganzheitliches Bild dieser Welt, ein Welt-Bild, schafft. Seibt weiß, wie komplex BeDeutungen, wie schwach aber oft Deutungen sind. Deshalb will er seine Bilder meditativ erfasst haben, gleichsam von Geistseele zu Geistseele. Wohl wissend, dass Kunst und Spiritualität einander unmittelbar nahe stehen, einander bedingen.
Aus seinen Bildern fließen vielerlei Möglichkeiten, Lebendiges zu deuten, ohne in Lebendiges einzugreifen. In der variationenbreiten Überschaubarkeit liegt Größe, nur: die scheinbare Schlichtheit verrät, dass ihm Wichtiges auch nahe ist. Und: die in seinen Bildern ersichtliche Suche nach dem Licht hat sich erfüllt. Dennoch blieb er ein Suchender. Eine Dynamik, interpunktiert von retardierenden Augen-Blicken.
Es wäre unwahr, zu behaupten, Seibt wünschte sich nicht bisweilen größere materielle Unabhängigkeit; doch dieses Ziel will und kann er erst nach Erreichung anderer, ihm wesentlich wichtigerer Wegstrecken als ein solches erkennen. Bilder sind heute oft nicht viel mehr als Aktien für prestigebewusste Wirtschaftsführer. Wie schön, dass solche Rechnungen so selten aufgehen. Seibts Werk wendet sich an andere Menschen, an jene, die Bilder als Orte besonderer Begegnungen sehen, an jene, die sich öffnen, aufnehmen, in sich wachsen wollen und können.
In Summa: Es gibt wenige Maler in dieser Zeit, in diesem Land, die ihre künstlerische Sprache so anspruchsvoll, so klar, so unmittelbar artikulieren können wie er. Manfred Seibts Bilder sind Aktien der völlig anderen Art, ihre Erträge werden unseren Seelen, unserem Lebens-Sinn, gut geschrieben. Erlösen Dividenden, die in die Ewigkeit leichter mitnehmbar sein mögen als fette Konten. Der an irdischen Gütern arme Manfred Seibt hat mich mit seinen künstlerisch-visionären Bildern reich gemacht. Innen, wo das Leben wirklich stattfindet.